Monatsbericht April 2021

Monatsbericht April 2021

„Im April, da macht das Wetter was es will!“ Das Sprichwort könnte gar nicht besser sein! Regen, Sturm, Schneefälle – oder was darf es noch sein? Die ganze Palette wurde uns im vergangenen Monat geboten. Ich denke, da war für jeden etwas dabei!

In einem Grossteil der heutigen Gesellschaft nimmt der Stellenwert des Individuums ständig ab. Im Vordergrund steht die maximale Gewinnorientierung, die über allem steht. Die einzelnen Individuen, die überhaupt erst vorhanden sein müssen, um dieses Ziel zu erreichen, sind nur Mittel zum Zweck. So läuft es doch: Solange man gesund und stark ist, wird man gebraucht, ändert sich diese Situation, fällt man aus dem System. Hier muss ein Umdenken in der modernen Zivilisation stattfinden.

Bei unserer täglichen Arbeit treffen wir gerade auf die Menschen, die aus diesem System herausgefallen sind. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Schicksale selbst. Ein Urteil zu fällen, dürfen und können wir uns nicht anmassen.

Ein aktuelles und sehr trauriges Beispiel ist unser junger Andrej, der seit über fünf Jahren bei uns auf dem Bauernhof lebt. Seit seiner Geburt war sein Lebensweg fast durchwegs steinig und beschwerlich. Ein Hindernis ums andere musste er überwinden, und das ist an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Diese Schicksalsschläge brachten ihn dann vor mehreren Jahren zu uns, in unsere Obhut. Wir hatten gemeinsam verschiedene Zeiten. Es gab mal Sonnenschein und dann wieder Gewitterwolken. Bis sich eine Psyche wieder einigermassen stabilisiert braucht es Zeit.

Im vergangenen, wieder einmal richtigen russischen Winter, hat bei ihm das Schicksal brutal zugeschlagen. Bei einem seiner jährlich wenigen Ausflüge hat er sich sämtliche Zehen und einen Teil der Füsse und alle Finger einer Hand abgefroren. Auf einen Schlag hat sein Leben nochmals eine neue und leider wieder sehr problematische und belastende Richtung genommen.

Für uns war Andrej ein aktiver und immer hilfsbereiter Bewohner in unserer kleinen Gesellschaft. Heute hat sich dieses Bild um 180 Grad verändert. Sein Bewegungsradius ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft, und er braucht uns mehr denn je.

Damit ihm die Decke nicht ganz über dem Kopf zusammenfällt versuchen wir, ihn mit allem Möglichen zu beschäftigen. Wir schenkten ihm eine kleine Videokamera und einen Computer mit Schnittpult. Er filmt jetzt verschiedene Geschehnisse auf dem Hof, die er dann anschliessend schneidet und mit Texten und Musik untermalt. Er hat Gefallen daran gefunden, was mich persönlich sehr freut. Denn eines ist jetzt das Wichtigste: Er muss sich selber neu finden, und seinen Platz in der Gesellschaft neu definieren.

Wir für uns müssen das Leben, das uns geschenkt wurde, wieder mehr schätzen und dankbar sein dafür! Nicht jeder hat dieses Glück bekommen!

Mit freundlichen Grüssen
Jörg Duss

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