Monatsbericht Februar 2020

Monatsbericht Februar 2020

Die Fortsetzung des schlechten Sommers dauerte auch im Februar noch an. Temperaturen kaum unter dem Gefrierpunkt waren an der Tagesordnung. Schnee gab es nur spärlich. Also von einem Winter können wir bis jetzt wahrhaftig nicht reden! Wir sind alle gespannt wie nun der März wird; kommt der Winter verspätet oder gar nicht mehr? In einem Monat wissen wir mehr!

Ich möchte Ihnen hier eine Geschichte aus dem Leben eines jungen Mannes erzählen, eines Lebens mit vielen Höhen und Tiefen. Es geht um einen jungen Mann namens Sergej, der seit über vier Jahren hier auf dem Hof mit uns zusammen lebt und arbeitet. In seiner Jugend war er Opfer väterlicher Gewalt, und danach lebte er vier Jahre lang als Obdachloser, bevor er zu uns kam.

Im letzten Jahr, am 12. Juni, hatte unser Sergej seinen 25. Geburtstag. Bereits einen Monat vorher fragte er mich, ob seine Mutter mit dem Stiefvater kommen dürfe an diesem Tag. Er möchte auch ein kleines Fest organisieren im Dorf, da er bis dahin im Grunde noch nie ein Geburtstagsfest hatte. So plante ich mit ihm, was es zu essen geben sollte, ein, zwei Spiele für alle, dass es ein lustiges und geselliges Fest geben würde. Drei Tag vor dem Geburtstag bekam er Angst, dass ich seinen Stiefvater, der ursprünglich aus Zentralasien kommt, zur Rede stellen würde für alles, was er in all den Jahren Sergej angetan hatte. „Er ist ein guter Mensch, er hat mich nur erziehen wollen“, erklärte mir Sergej immer und immer wieder. Ich versicherte ihm, dass wir an dem Tag nicht im Geringsten über dieses Thema sprechen würden, wichtig sei jetzt nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Dies beruhigte ihn dann.

Am Vortag kam Sergej plötzlich zu mir, ich solle doch bitte schnell seine Mutter anrufen, um abzuklären, wie die Anreise ins Dorf von statten gehen solle. Beim Telefonat erklärte mir eine nette Frauenstimme, dass sie allein kommen werde, da ihr Mann beschäftigt sei. Ok, wir klärten alle Einzelheiten, bis wohin sie fahre, und wo ich sie dann abholen würde.

Am Morgen des Geburtstages kommt Sergeij zu mir, den Kopf tief gesenkt. Seine Mutter könne nicht kommen heute, ich müsse sie dann nicht abholen. Der Stiefvater, der sie mit dem Auto hätte ein Stück weit hinfahren sollen, hatte sich quergestellt. Für Sergej fiel in diesem Moment eine Welt zusammen. Er hatte sich so lange darauf gefreut, seine Mutter wieder einmal zu sehen, und das noch an seinem Geburtstag! Für ihn war der Tag gelaufen, von einem Fest wollte er nichts mehr wissen. Auch das Fahrrad, das wir ihm schenkten, konnte ihn in diesen Stunden nicht mehr aufheitern. Es war ehrlich gesagt einfach beschi….!

Nun, fast ein Jahr später und nach etlichen Versuchen, kam dann doch noch das zustande, woran fast keiner mehr geglaubt hatte. Sergej und ich konnten seine Mutter an einem neutralen Ort treffen! Dass ich dabei war, war der ausdrückliche Wunsch von Sergej, der unbedingt wollte, dass wir einander kennen lernten.

Waren Sie einmal anwesend, wenn Mutter und Sohn, die einander seit Jahren nicht mehr gesehen haben, sich plötzlich gegenüber stehen? Die Emotionen überschlugen sich, beide wollten sich so viel sagen, und das führte zu einem Wirrwarr von Worten und ging dann über in Stille. Sie lagen sich in den Armen, gaben Zeichen, den anderen nicht mehr loslassen zu wollen, und schauten einander an mit Augen voll Tränen und voll Sehnsucht.

Es waren für beide Stunden, an welche sie sich noch lange erinnern werden. (Und ich muss gestehen, nicht nur für die Beiden. Auch ich war in dieser Wolke von Emotionen). Über eines waren sich alle einig: Man muss versuchen, bei einer passenden Gelegenheit wieder so ein Treffen von Mutter und Sohn zu organisieren. Dieser Gedanken erleichterte es ihnen, sich von einander zu verabschieden.

Mit freundlichen Grüssen

Jörg Duss

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