Das Wetter hat sich zum Glück in diesem Monat so verhalten, wie es der Jahreszeit entspricht. Überall auf den Feldern sieht man die Bauern mit der Heuernte beschäftigt. Zwischendurch kleinere Regengüsse lassen auch bei den anderen Kulturen eine gute Ernte erwarten.
Dies ist ein etwas „anderer“ Monatsbericht. Er handelt von einem Gespräch, das in mir das spontane Bedürfnis weckte, unsere Freunde teilnehmen zu lassen an den Emotionen, die es in mir weckte. Es war ein Erlebnis, von dem ich sagen kann: Genau dafür leben und wirken wir!
Es geht um Oleg, einen 62jährigen ehemaligen Obdachlosen, der seit rund 6 Jahren bei uns lebt. Er ist ein unauffälliger Mensch, der still seiner Arbeit nachgeht. Er sucht keinen Kontakt zu den anderen Bewohnern, ist aber auch in keiner Weise streitsüchtig. Dass er auch eher kleinwüchsig ist, passt zu seinem Gesamtbild. Aber er hat eine grosse Schwäche: Der Alkohol. Für ihn ist es ein striktes Tabu, auch nur die Etikette der Flasche zu lesen. Er versucht seit Jahren, seine Sucht loszuwerden, Aber alle fünf bis sechs Monate verfällt er wieder dem unwiderstehlichen Drang nach Alkohol. Nach ein paar Tagen fängt er sich wieder und kehrt zu seinem üblichen Tagesablauf bei uns zurück.
In den ersten Jahren seines Aufenthaltes beschäftigte er sich fast ausschliesslich mit zwei Aufgaben. Die eine war alle anfallenden Betonarbeiten, die es sporadisch auf dem Hof zu erledigen gibt, und die er mit sehr grossem Engagement und Interesse erledigte. Seine Hauptaufgabe war jedoch das Bereitstellen von Brennholz. Ihm war eine Kettensäge anvertraut, die er jeden Abend auseinandernahm und mit grösster Sorgfalt putzte und schmierte, damit sie für den nächsten Tag wieder einsatzfähig war. So verbrachte er einen Grossteil seiner Zeit auf unseren verwilderten Feldern, wo er die Bäume fällte, das Geäst verbrannte und die Stämme zu Brennholzscheiten verkleinerte und sie so für den Abtransport vorbereitete. Für ihn als „Einzelkämpfer“ war das eine willkommene Arbeit, war er doch dort auf dem Feld sein eigener Herr und Meister.
Vor etwas mehr als einem Jahr änderte sich das Alltagsleben von Oleg. Durch personelle Veränderungen im Kollektiv wurden plötzlich Hände bei der Tierpflege direkt auf dem Hofe gebraucht. Aus dieser Notsituation heraus musste ich Oleg umdisponieren. Mir war bewusst, dass ich ihn auch hier möglichst in einem eigenen Umfeld in einem eigenen Aufgabenspektrum beschäftigen musste, damit ihm wohl war. So wurde ihm die Pflege der Pferde, der Kälber und des Zuchtstiers anvertraut. Gab es trotzdem kleinere Betonarbeiten, organisierte er sich selbständig so, dass er sie neben seiner jetzigen wichtigen täglichen Arbeit verrichten konnte. Und standen grössere solche Arbeiten bevor, sah man ihn auch schon einmal vor dem Frühstück bereits verschiedene Arbeiten erledigen, damit er alles abarbeiten konnte, was er sich vorgenommen hatte.
Bei meinen täglichen Beobachtungen sah ich, dass er sich gewissenhaft und sehr ernsthaft seiner neuen Haupttätigkeit widmete. Und ich bemerkte, dass er schon über ein Jahr nicht mehr getrunken hatte! So setzte ich mich eines Abends bei einem wunderschönen Sonnenuntergang mit Oleg auf unsere Parkbank unter der grossen Linde und begann ein anfänglich ganz unverbindliches Gespräch über seine Arbeit, ob er zufrieden sei, ob er irgendwo Schwierigkeiten hatte, und so weiter. Aber dann kam für mich die grosse Überraschung! Im Ton eines Menschen mit viel Lebenserfahrung fragte er mich: „Hast du bemerkt, dass ich seit über einem Jahr nicht mehr getrunken habe?“ Ich kam gar nicht dazu zu antworten, bevor er gleich fortfuhr, „Das sind die Tiere! Die Tiere geben mir so viel, sie sind ein bedeutender, wichtiger Teil in meinem Leben geworden! Ich spreche täglich mit ihnen, und ich denke sie verstehen mich.“ Nun begann es aus ihm zu sprudeln wie aus einem Brunnen, und der sonst so introvertierte Mensch öffnete mir sein Inneres, und dies mit einem rundum zufriedenen Gesicht. Weiter erklärte er mir, dass er manchmal unseren grossen Zuchtstier fast traurig antreffe. Dann kraule er ihm den Hals oder die Stirne und rede mit ihm. Danach spüre er, wie es dem Stier besser gehe. „Diese Kontakte mit den Tieren haben in mir das Bewusstsein so verändert, dass ich gar kein Bedürfnis nach Alkohol verspüre!“ Beim Auseinandergehen sagte ich ihm noch mehrfach, dass ich sehr stolz auf ihn sei! Er antwortete mir nicht darauf und lächelte ein zufriedenes Lächeln.
Mich macht man nicht so schnell sprachlos, doch dies war einer der seltenen Augenblicke in meinem Leben, wo ich mich wirklich fassen musste. Ich wiederhole mich hier gerne nochmals: „Das sind die Momente und Emotionen, für die wir leben!“
Liebe Grüsse
Jörg
Ps. Mit diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr, wie wertvoll der Kontakt mit Tieren ist. Leider ist das nur in Klein- und Mittelbetrieben möglich. In Grossbetrieben ist das Tier ein „Wirtschaftsobjekt“ mit einer Nummer, und der direkte Kontakt zum Menschen ist verloren gegangen!
COMMENTS