Mitte März, als niemand mehr damit gerechnet hatte, legte Frau Holle einen halben Tag lang Spezialschicht ein. Innert weniger Stunden bedeckte sie die Erde mit rund 10 cm Schnee. „Als wir auf ihn gewartet haben, kam er nicht, jetzt, wo wir ihn nicht mehr brauchen, kommt er!“ hörte man allenthalben. Aber er blieb nur ein paar Tage, da die nachfolgenden Temperaturen hoch waren und er im Nu vor sich hin schmolz.
Anfang des Monates war ich in Moskau zur Lehrerkonferenz einer Waldorfschule eingeladen. Dabei hatte ich die Gelegenheit, unser Dorf und die Arbeit der Stiftung zu präsentieren. Diese Schule hat sehr grosses Interesse an unserem Projekt und möchte mit uns in einer Partnerschaft verschiedene Schülerlager bei uns organisieren. In dieser Schule gibt es in jedem Schuljahr gewisse Themen, welche die Kinder behandeln: Tierpflege, Gartenarbeit, Bauarbeiten, Forstwirtschaft und Holzhandwerk sind einige Beispiele.
An diesem Treffen ging es darum, dass sie mir ihre Wünsche zu den jeweiligen Themen erläuterten (Aktivitätsmöglichkeiten, Gegebenheiten, benötigte Infrastruktur usw.). Ich wäge nun ab, wie es für uns ohne grossen Aufwand möglich ist, solche themenspezifischen Lager durchzuführen. Ich denke, daraus kann sich ein sehr guter Synergieeffekt ergeben. In zwei Wochen kommen 18 Personen von dieser Schule für ein Wochenende als Gäste zu uns, um sich auch selber noch ein besseres Bild machen zu können.
Ab Mitte des Monates gingen wir wieder auf Wanderschaft in alle Kulturhäuser bei uns im Bezirk. Ich habe jetzt ein 1 ½ stündiges Programm, eine Komödie, ausgearbeitet, in der Heiterkeit, Fröhlichkeit und Lachen im Vordergrund stehen. Ich spiele eine ländliche Grossmutter und Daniil ist mein Enkel. Wir haben verschiedene Sketchnummern einstudiert, und gleichzeitig machen wir mit den Zuschauern Spiele und kleine Turniere. An einem Wochenende hatten wir die Hauptprobe in unserem Kulturhaus in Lagowschina, wobei auch Anwohner aus den Nachbardörfern kamen. Es war ein Erfolg, es hat allen sehr gut gefallen. Und jetzt, am Wochenende, startet unsere Tournee. Wir werden in neun Dörfern auftreten.
Um die Bewilligung dafür zu erhalten, traf ich mich mit dem Oberbürgermeister, der uns seinen „Segen“ gab. Dies war nur eine Formsache, aber vom Gesetz her muss es sein. Für mich war es aber eine gute Gelegenheit, mit ihm wieder einmal unter vier Augen zu sprechen. Da er auch ein Morgenmensch ist, machen wir das jeweils früh am Morgen in seinem Büro, wenn alles noch ruhig ist. So sprachen wir über die verschiedenen Projekte der Stiftung RADUGA, dann wollte er auch mehr wissen über das Bauernhofprojekt. Im Gegenzug bekam ich auch ein paar interessante Hintergrundinformationen von ihm. So plauderten wir über eine Stunde, und alles war sehr positiv und aufschlussreich. Wir haben jetzt wohl die besten Beziehungen zur Administration, seit ich hier in Russland bin. Aber leider ist Michail Leonidowitsch jung und wird wohl bald für weitere, höhere Aufgaben wieder nach Kaluga oder sogar nach Moskau beordert. Dann fängt das Kennenlernen mit dem Neuen wieder an! Das ist das Übel in der Politik, dass es immer wieder diese Wechsel gibt. Das erleben wir jetzt alle wieder einmal mit aller Deutlichkeit!
Und jetzt berichte ich Ihnen von einer Erfahrung, die ich in den letzten Monaten immer wieder machte. Die meisten Obdachlosen und auch die behinderten Menschen, die auf unterschiedliche Art den Weg zu uns finden, hatten oft zuerst einmal Probleme mit den engsten Verwandten. Daraus resultierte, dass sie in ihren Familien „unerwünscht“ und regelrecht „ausgestossen“ wurden. Bei uns erleben sie dann eine Resozialisierung. Sei es durch den Umgang mit den Mitmenschen in ihrer nächsten Nähe, oder durch das Mittragen einer Verantwortung für die ihnen zugeteilte Tätigkeit. Tag für Tag machen sie so ihren Lernprozess und werden wieder ein Teil dieser Gemeinschaft. Sie spüren, dass sie geschätzt und gebraucht werden, was ihrem Selbstbewusstsein sehr gut tut. Ende des Monates bekommen sie zusätzlich ein Taschengeld, damit sie auch lernen, mit Geld umzugehen!
Diese Vorgänge werden dann von den Verwandten verfolgt, und sobald sie merken, dass da vielleicht etwas zu holen ist, versuchen sie, sich bei ihrem Angehörigen wieder einzuschmeicheln. Hier beobachte ich dann unterschiedliche Reaktionen. Der kleinere Teil blockt ab, doch der grössere Teil ist bereit, der Familie zu helfen. Auch in Anbetracht dessen, dass ihr Unglück seinerzeit von eben diesen Menschen ausgegangen war. Ich mische mich da nicht ein, doch es ist für mich jedes Mal von Neuem eine interessante Erfahrung, die ich machen darf.
Ich habe das Glück, hier in Russland das Leben von immer wieder neuen Seiten kennen zu lernen!
Mit freundlichen Grüssen
Jörg
COMMENTS