Das Wetter hatte auch im Mai seine Überraschungen bereit. An einen so kalten Mai wie in diesem Jahr kann sich hier keiner erinnern. Feuchtigkeit ist nach der grossen Schneeschmelze im Boden genügend vorhanden, aber es ist zu kalt. Selbst der Graswuchs auf den Feldern kommt nicht recht voran. Auf den Kuhweiden fressen die Kühe das Gras schneller ab, als es nachwächst. Normalerweise ist es zu dieser Jahreszeit umgekehrt. Das Gleiche gilt für die Gemüsekulturen. Sollte diese Tendenz auch im kommenden Monat anhalten… Wollen wir das Beste hoffen, dass es anders kommt!
Die Situation in Tarussa sieht mittlerweile wie folgt aus. In den Einkaufsgeschäften sind die Waren erhältlich, aber teilweise zu kaum erschwinglichen Preisen. Wie ich schon im vorherigen Infobericht geschrieben habe, ist alles teurer geworden. Da reden wir nicht nur von Nahrungsmitteln, sondern von allen Gütern, die man im Alltag benötigt. Für die unteren Bevölkerungsschichten sind viele Produkte nicht mehr erschwinglich, und das, was sie sich leisten können, müssen sie mengenmässig anpassen, da die finanziellen Mittel einfach nicht ausreichen. Das Resultat: Seit ich hier in Russland bin, hat es in dem Masse noch nie eine Wiederbelebung der Gärten gegeben. Jeder, der irgendwo einen Flecken Land hat, will ihn mit Kartoffeln und Gemüse bepflanzen. Die Geschäfte verzeichnen einen enormen Anstieg beim Verkauf von Gartenartikeln, wie Schaufeln, kleine Gewächshäuser usw. Für die Bewohner in den Dörfern ist der Kauf von Hühnern, eventuell ein, zwei Schafen oder Ziegen angesagt. Andere wiederum kaufen sich ein paar Ferkel zum Mästen, nach dem Grundsatz, was man hat, das hat man. Bei allen, welche die 90er Jahre miterlebt haben, kommen Erinnerungen hoch. Alles das haben sie schon einmal durchgemacht.
Wir von RADUGA fühlen uns wie in einem kleinen Boot, das auf dem offenen Meer in einem Sturm treibt. Man weiss gar nicht mehr, wohin man schauen soll, von überall her weht der Wind. Die Wellen schlagen an die Bordwand, öfters auch darüber hinaus ins Boot. Dann gilt es, sofort Rettungsaktionen zu starten, damit das Schiff nicht vollläuft. In einer solchen Situation ist es oft schwierig, den Überblick zu haben, man ist in einem Zustand, wo man nicht mehr agiert, sondern nur noch reagiert! Oft fehlt es am strukturierten Handeln, da sich die Ereignisse überschlagen und wir keine Zeit haben, in Ruhe und überlegt zu handeln. Ein Lehrstück an Krisenmanagement, das wir hier erfahren dürfen (müssen).
Mit dieser Verbildlichung wollte ich versuchen, Ihnen einen Einblick zu geben in unseren Alltag und auch in unsere Gefühlswelt. Es ist schwierig das Ganze anders in Worte zu fassen.
Mit freundlichen Grüssen
Jörg Duss
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