Monatsbericht November 2021

Monatsbericht November 2021

Ein paar Tage hat Frau Holle trainiert. Für viel Schnee reichte es zwar nicht, doch konnte sich das Auge für kurze Zeit schon mal an die weisse Landschaft gewöhnen. Die Temperaturen flankierten diesen Anblick, stach uns doch während längerer Zeit ein „fieser“ Nordwind ins Gesicht. Alles in allem gesehen war es ein kleiner Schnupperkurs für den bevorstehenden Winter.

Die Bemühungen, Menschen, die aus materiellen, sozialen oder gesundheitlichen Gründen benachteiligt sind, in die Gesellschaft zu integrieren, sind in der westlichen Welt nicht neu. Die Altersrente wurde bereits vor vielen Jahrzehnten eingeführt, und es entstehen immer mehr Alters- und Pflegeeinrichtungen. Damit wurde die Jahrhunderte alte Tradition erschüttert, in der die Kinder, nachdem sie von den Eltern das empfangen hatten, was sie für ihr erwachsenes Leben brauchten, ihrerseits für die betagten Eltern sorgten. Und da, wo Nachkommen fehlten, übernahmen Verwandte und Bekannte diese Aufgabe. Heute springt der Staat ein.

In Russland ist das noch keineswegs überall der Fall. Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mich zu unterhalten mit Menschen aus Randregionen, Jakutien im Norden, Daghestan im Süden, und erfuhr dabei, dass es dort keine Alters- und Behindertenheime gibt. Ich stiess auf völliges Unverständnis für solche Einrichtungen. Die sozialen Strukturen sind dort noch anders, der Zusammenhalt in der Familie und der Gesellschaft ist enorm.

Auf unserem Bio-Bauernhof Lagowschina ist es eine unserer selbst gestellten Aufgaben, benachteiligte Menschen in unsere kleine Gemeinschaft zu integrieren. Wir möchten damit auch das mitmenschliche Verantwortungsgefühl wecken und fördern. Kürzlich musste ich mir in einem regelrechten Kreuzverhör mit Ärzten und Pflegerinnen anhören, dass das unmöglich sei. Als ich, nach einer wahren Empörungslawine, wieder zu Worte kam, erklärte ich, dass wir bereits seit mehreren Jahren positive Erfahrungen auch mit psychisch labilen Menschen machen. Ja, es braucht Zeit, Feingefühl und viel Verständnis, das man ihnen entgegenbringen muss, vor allem in der Anfangsphase. Da sie bei uns aber nicht in einer staatlichen Einrichtung leben, sondern Mitglieder einer grossen Familie sind, ist die Integration mehr ursprünglichen menschlichen Bedürfnissen angepasst.

Anderseits aber dürfen wir den Menschen nicht unseren Lebensstil aufdrängen. Jeder hat das Recht, sein Leben so zu gestalten wie es ihm gefällt, solange er damit nicht gegen das Gesetz oder die Gesellschaftsregeln verstösst. Nicht alle Menschen wollen gesicherte Mahlzeiten und Übernachtungsmöglichkeiten oder denken an irgendeine Altersvorsorge. Und doch erlebe ich oft Menschen, die anderen eine bestimmte Lebensweise förmlich aufzwingen wollen. Solche Vorhaben sind meist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Nur ein „Miteinander“ kann Erfolg haben.

Ich müsste lügen, wollte ich behaupten, dass bei uns alles immer störungsfrei verläuft. Aber ehrlich, in welcher Familie läuft alles immer reibungslos?! Wichtig ist es, aus allem immer wieder zu lernen. So entsteht auf die Dauer ein grosser Erfahrungsschatz, der einem in Zukunft manches Übel ersparen kann!

Mit freundlichen Grüssen

Jörg Duss

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