Mit dem Wetter dürfen wir in diesem Oktober nicht hadern. Mehr Sonnentage als Regentage, zum Teil sehr warme Temperaturen, die der vielbesungene „goldenen Herbst“ uns bescherte. So reichte die Zeit für jeden Hobbygärtner, seinen Garten noch „winterfest“ aufzuräumen. Jetzt steht die Frage im Raum, wann wohl der erste Schnee fallen wird. Vor zwei Jahren war dies erst kurz vor dem Neujahr, aber es kann gut auch schon Anfang November passieren. Mal schauen, was sich Frau Holle für uns ausgedacht hat!
Die Integration von Obdachlosen – ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt. Bei uns tauchen immer wieder verschiedenste Personen auf, von denen einige schon Jahre auf der Strasse verbracht haben. Wieso kommen sie zu uns? Kürzlich sagte mir ein Mann in den Vierzigern, er sei einfach müde vom Leben auf der Strasse, mit dem tagtäglichen Abmühen, etwas Essen zu beschaffen und sich den nächsten Schlafplatz zu suchen, zu ergattern oder oftmals auch zu erkämpfen.
Anderseits aber schwebt über all dem das Gefühl der totalen Freiheit vom gesellschaftlichen System. Man ist niemandem etwas schuldig. Keine Rechnungen, keine Miete, keine Nebenkosten für die Wohnung, keine Steuern, alles Dinge, welche diese Menschen schon lange vergessen haben. Freiheit pur!
Bei vielen spielen beide Seiten eine Rolle im Leben. Ja, der Grossteil derer, die zu uns kommen, ist müde vom Kampf auf der Strasse. Auf unserem Hof bekommen sie einen Schlafplatz, regelmässige Mahlzeiten und eine Beschäftigung. Aber so nach und nach kommt bei einigen dann doch wieder der Drang in die „Freiheit“.
Und oft geht es nach einiger Zeit wieder von vorne los. Nach dem neuerlichen Leben auf der Strasse werden manche wieder müde und stehen eines Tages erneut vor der Tür. Das ist dann der Moment, wo wir ihnen in Gesprächen aufzeigen, dass es jetzt Zeit ist, dass sie für sich entscheiden, was sie wollen. Wir sind kein „Bumerangverein“, wo man gehen und kommen kann. Und hier sehe ich das grösste Problem dieser Menschen. Ihnen fehlt der Sinn, die Stabilität im Leben. Und das lässt viele von ihnen scheitern
Es gibt immer wieder solche, die es schaffen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und „sesshaft“ zu werden. Wenn sie psychologisch diesen Durchbruch geschafft haben, sind sie auch wieder bereit, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Die Entscheidung, und die daraus resultierende Verantwortung, muss aber jeder für sich selber treffen und annehmen. Wir können sie nur begleiten, alles andere hängt von jedem Einzelnen ab.
Als kleine Randnotiz am Schluss: Im vergangenen Monat hat mich mein langjähriger Freund aus der Schweiz Jakob Bieri für drei Wochen besucht. Jakob ist seit seiner Kindheit gehörlos, was ihn keineswegs davon abhält, sein Leben mit Freude und Optimismus zu begehen. Seine Begabung, mit der Behinderung umzugehen und sich mit der Gebärdensprache problemlos!!! und ohne Russischkenntnisse zu verständigen, hatte alle zutiefst beeindruckt, speziell die „Sozialfälle“ unter unseren Mitbewohnern!
Ich weiss, dass Jakob das liest, darum vielen Dank Dir, Jakob, für die tolle Zeit, die Du uns geschenkt hast! Ein ganz besonderer Dank von allen unseren Bewohnern!
Mit freundlichen Grüssen
Jörg Duss
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